Polen I – das Traumland nebenan
Wenn die nächste Reise auf sich warten lässt, sei es wegen Zeit- oder Geldmangel, halten mich die Erinnerungen an vergangene Touren über Wasser. Ich klicke mich durch meine Bilder und blättere in meinen leider sehr lückenhaften Notizen. Und dank meines brillanten Erinnerungsvermögens, um besagte Lücken zu füllen, kann ich euch nun nachträglich mit auf meine Polenreise nehmen, die ich im Herbst 2013 gemacht habe. Im ersten Bild meines Albums sitze ich dick eingepackt und hundemüde um 5 Uhr morgen auf dem Parkhausdach des Busbahnhofs an der Metro Mlociny in Warszawa und blinzle in den Sonnenaufgang. Es ist unglaublich kalt für Anfang September. Sarah kauert neben den Rucksäcken und kocht den ersten von unzähligen Espressi in der kleinen Bialetti. Ich habe dieses leichte Kribbeln im Bauch, die Vorfreude auf ein unbekanntes Land und eine wahrscheinlich etwas chaotische Reise.
Wir haben eine lange und dank defekter Heizung extrem heiße Fahrt von Berlin nach Warszawa hinter uns. Jetzt heißt es bei frostigen 8°C auf den Anschlussbus nach Gdansk zu warten. Zugegebenermaßen nicht der direkte Weg, aber mit 16 Euro pro Person preislich unschlagbar. Die Bustickets von Polskibus und das Hostel in der Danziger Innenstadt sind die einzigen Dinge, die wir im Voraus für unsere Tour gebucht haben. Alles Weitere überlassen wir dem Zufall. Eigentlich erstaunlich, wenn man bedenkt, dass ich mich bereits Monate vorher entschlossen hatte, durch Polen zu reisen. Die schwärmerischen und von Heimweh geprägten Erzählungen meiner Freundin Marcelina, die ich während meines Auslandjahrs in Norwegen kennenlernte, weckten meine Reiselust und die Neugier auf dieses Land im Besonderen. Allerdings kannte ich bis auf ein wenig Geschichte, die Werke von Chopin und die Biographie von Maria Sklodowska Curie, die für mich als Chemiestudentin eine der bedeutendsten Personen überhaupt darstellt, so gut wie nichts über Polen. Eine kurze Recherche später war klar: Das muss ich sehen. Ostsee, Masuren, Warschau, Karpaten und Hohe Tatra… am besten alles. Meine Freundin und Kommilitonin Sarah musste ich nicht lange überzeugen, Freunde und Verwandte aber begegneten unserem Enthusiasmus meist mit Skepsis. „Polen? Was wollt ihr denn dort?“ Nach 22 großartigen Tagen und fast 3000 km weiß ich zumindest, dass Polen mehr zu bieten hat, als den etwas billigeren Ostseeurlaub.
Wir starten also in Danzig. Eine zurecht als malerisch bezeichnete Stadt, zumindest im Zentrum versprühen die bemalten Fassaden und gepflasterten Plätze einen fast schon kitschigen Charme. Im Hafen liegt ein alter Dreimaster vor Anker, wir schauen uns das Denkmal für die gefallenen Werftarbeiter während des Aufstandes 1970 an und laufen auf den Hagelsberg, von dem aus wir eine wunderschöne Aussicht über die nächtliche Stadt haben. Das Highlight für mich: die Markthalle nahe der Nikolaikirche. Auf dem offenen Marktplatz wird jedes erdenkliche Obst und Gemüse feilgeboten, davor sitzen ältere Männer und Frauen auf der Straße und bieten selbst gesammelte Pilze an. In der historischen Halle findet man alle möglichen Gebrauchsgegenstände, Käse, Fleisch und noch zappelnde Fische. Wir gönnen uns eine Schale Himbeeren für umgerechnet 1,50 Euro, seitdem bin ich von der Qualität polnischer Marktwaren überzeugt. Kulinarisch geht es weiter hoch her, es gibt Borschtsch, Piroggi und frischen Seefisch am Strand von Sopot. An der Ostsee ist es um diese Jahreszeit schon recht ruhig, so dass man den weißen Sand nicht mit hunderten von Touristen teilen muss. Dafür ist das Baden im Meer nur etwas für besonders Hartgesottene. Hier liegen wir einen halben Tag in der Sonne, trinken Espresso und naschen Quarkbällchen. Die ersten Tage in Polen können als Erfolg verbucht werden, doch die Strandidylle ist uns schon bald nicht mehr aufregend genug. Also räumen wir das Hostel in der Altstadt, kaufen uns einen riesigen Sonnenblumenkopf auf dem Markt, der perfekte Snack für lange Fahrten, und fahren mit einem kleinen Mietwagen gen Osten, Richtung masurische Seenplatte.
Da wir kein Zelt dabei haben, schlafen wir auf Campingplätzen mit Miethütten oder Hostels. Bei Olecko finden wir trotz Dunkelheit noch ein winziges Zimmer über dem Waschhaus eines kleinen Campingplatzes. Im Haupthaus finden die Vorbereitungen für eine Hochzeit am nächsten Tag statt. Tatsächlich ist dies nur die erste von vielen Hochzeitsfeiern, in die wir während unseres Urlaubs stolpern werden. Wir verbringen unseren Tag mit Rumschlendern im Wald und Bootfahren auf dem See – Entspannung pur! In der Nähe von Augustow machen wir einen Kanuverleih ausfindig, nachdem wir in einem Hotel übernachtet haben, das an eine sozialistische Version des Overlook Hotels aus „The Shining“ erinnert, und schaffen es dank Sarahs Polnischkenntnissen und wildem Gestikulieren ein Boot auszuleihen und einen Pick-Up Treffpunkt zu vereinbaren. Startpunkt ist Wigry, von dort paddeln wir ca. 16km den Czarna Hanzca entlang bis nach Wisoky Most. Das Ufer ist dick mit Schilf bewachsen, so dass wir tatsächlich ab und an den Flusslauf verlieren. Die Schwäne mit ihren Jungen sind nur solange süß und knuddelig, bis uns eine wild fauchende Schwanenmutter gefährlich nahe kommt. Davon abgesehen bleiben mir die Stille, das glasklare Wasser und die Fischer in Erinnerung, die mehrmals schmunzelnd versuchten uns in die richtige Richtung zu weisen.
Die Nacht verbringen wir mit stark schmerzenden Gliedern in einem Hostel, das früher wohl mal ein Seniorenheim war. Am Morgen brechen wir früh auf und frühstücken wie jeden Tag an einem wunderschönen See im strahlenden Sonnenschein. Anschließend wagen wir uns tatsächlich in die masurische Zivilisation, zuerst nach Mikolajki, dann nach Mragowo. Das Ganze eher gezwungenermaßen, da wir auf der Suche nach einem Internetcafé sind, um unsere weitere Route zu planen (weder Sarah noch ich besitzen ein Smartphone oder sonstige moderne Gadgets). Die Städtchen sind recht hübsch anzusehen und hier finden wir auch die Touristenmassen, die es jedes Jahr in die Masuren zieht.
Eine besonders schöne Unterkunft finden wir in Sorkwity, genauer auf dem Platz der polnischen Touristik- und Naturgesellschaft PTTK. Im Obergeschoss einer kleinen Giebelhütte mieten wir zwei Betten für unglaubliche 6,50 Euro. Der Eigentümer spricht gut Deutsch, da er wie so viele Polen eine Zeit lang in Deutschland gearbeitet hat. Er zeigt uns stolz seine weit über hundert Kajaks und Kanus und ist etwas enttäuscht, als wir wegen unseres Muskelkaters nur ein unsportliches Tretboot mieten. Abends erzählt er von seinem Hobby, alte Kanonen nachzubauen, um mit ihnen den napoleonischen Krieg nachzuspielen und brät uns anschließend einen frisch geangelten Seefisch. In dieser Nacht konnten wir einen der schönsten Sternenhimmel beobachten, den ich je gesehen habe.
Um Gebühren zu sparen, bringen wir das Auto wieder zurück nach Danzig und besuchen bei der Gelegenheit noch gleich die Wanderdüne von Leba. Mitten auf der Düne hält ein Brautpaar gerade eine Fotosession ab, der Unterrock der Braut hängt über einem Strauch daneben. Es ist warm genug, um ein wenig in der Ostsee zu plantschen, aber es sind für unseren Geschmack deutlich zu viele Touristen unterwegs, so dass wir uns nach relativ kurzer Zeit wieder auf den Weg machen. Auf einem Campingplatz mieten wir uns in einen ziemlich heruntergekommenen Wohnwagen ein, inklusive hellblauer Satin-Bettwäsche. Hier gibt es eine große Surfcommunity, viele der Leute verbringen einen Großteil ihres Sommers am Strand und auf dem Brett. Wir gönnen uns noch einmal frischen Fisch direkt am Strand bei einem grandiosen Sonnenuntergang und verabschieden uns vom schönen Norden Polens. Am nächsten Tag bringt uns Polskibus zurück nach Warschau.
… to be continued.
*Es sei kurz vermerkt, dass die polnischen Sonderbuchstaben nicht immer korrekt angezeigt werden können und deswegen mit im deutschen üblichen Zeichen ersetzt wurden. Die meisten Suchmaschinen finden aber Eigennamen wie Mikolajki oder Mlociny trotzdem problemlos.
Ich bin ganz hingerissen von den Fotos und Erzählungen, habe Polen bis jetzt nie als Reiseziel gesehen. Vielen, vielen Dank für den schönen Bericht!
Vielen Dank! Freut mich, dass es dir gefallen hat. In natura ist es noch einmal viel schöner. Ich kann wirklich nur empfehlen mal hinzufahren und dich selbst zu überzeugen :) Am besten außerhalb der Saison, dann erlebst du Polen authentisch und ohne großes Tourismus-Drama.
Viele Grüße an dich
Oh ich will schon lange mal Urlaub in Polen machen.. vielleicht überzeugt dieser Post ja auch meinen Freund :D Vielen Dank!! Liefs, liv
Wenn es dieser Post nicht tut, dann vielleicht die nächsten zwei :) Ich werde mir besonders viel Mühe geben. Es ist auf jeden Fall für den Urlaubstyp etwas dabei, also packt schon mal die Koffer ;)
Viele Grüße
Und wieder ein weiterer Punkt auf der „Muss ich noch sehen-Liste“ =) Vielen Dank für die Anregung. Ich freue mich auf mehr!
Eigentlich treib ich mich ja nicht auf solchen Blogs rum, aber das ist ein echt guter Beitrag. Polen war bisher nich das Land das mir in den Sinn kam wenn ich an reisen und Urlaub gedacht hab. Das hat sich jetzt geändert :) . Danke dafür.
Ich finde, dein Reisebericht ist wirklich schön geschrieben, gut zu lesen und macht definitiv Lust auf mehr! In Gedanken erweitere ich eine mögliche Reise ein wenig nach Osten, um außerdem noch Königsberg, die Heimat meiner Vorfahren, und Litauen und Lettland zu sehen…
Wir hatten auch überlegt, noch einen Abstecher nach Kaliningrad zu machen, aber dafür haben 3 Wochen einfach nicht gereicht. In Lettland und Litauen war ich bisher nicht, interessiert mich aber auch definitiv. Am Besten mit Weiterreise nach Helsinki und weiter nach Lappland…ach, man wird ja träumen dürfen :)
Viele Grüße an dich!
[…] Den 1. Teil des Reiseberichts “Polen – das Traumland nebenan” findet ihr hier. […]
[…] der Ostseeküste erholt hatte, kribbelte es schon nach wenigen Wochen wieder in den Zehenspitzen. Polen-Partnerin Sarah und ich haben uns für den diesjährigen Urlaub den Süden Frankreichs ausgesucht. Wir wollen auf […]