Polen II – Von Warschau bis Waldkarpaten
Die Fahrt quer durchs Land von Danzig nach Warschau dauert über 5 Stunden und die Sicht aus dem Fenster ist nicht besonders aufregend. Wir kommen wieder am Busbahnhof bei Mlociny an und müssen uns erst einmal mit dem Ticketautomaten herumschlagen. Letztendlich kommen wir aber gut und billig in die Innenstadt und finden unser Hostel versteckt am Rynek Starego Miasta. Unterwegs kaufen wir uns noch Piroggi und Sauerrahm im kleinen Supermarkt um die Ecke und kochen uns ein leckeres Abendessen in der sehr gemütlichen Hostelküche. Wir sind nur 3 Nächte in der Stadt und beschränken uns daher auf planloses Sightseeing und eine geschichtliche Tour. Das Museum des Warschauer Aufstands ist in jedem Fall einen Besuch wert. Neben originalen Filmausschnitten, die die Aufständischen in den letzten Tagen aufnahmen, wird im Museum „The City of Ruins“ gezeigt – eine digitale Rekonstruktion der Stadt nach dem zweiten Weltkrieg.
85% der Hauptstadt lag 1944 in Schutt und Asche. Die Altstadt war praktisch nicht mehr existent und doch wohne ich jetzt in ebendieser in einem kleinen Hostel. Der Film, sowie die Bilder des Ghettos sind ein ständiger Begleiter auf dem Weg durch die Stadt. Die historischen Denkmale wie der Umschlagsplatz und die ehemalige Ghettomauer sind unscheinbar und es ist fast schon unwirklich, wie das Leben neben diesen grauenhaften Erinnerungen weiter pulsiert und wächst. Es ist schwer, sich von der trüben Stimmung nicht überwältigen zu lassen. Was letztendlich hilft, ist ein Besuch in der Knedle-Bar „Kluska Polska“, ein Restaurant mit bizarrer zweidimensionaler Inneneinrichtung und leckerem Essen. Es gibt verschiedene Arten Kartoffelklößchen, ähnlich wie Gnocchi, mit verschiedenen Soßen und Ragouts. Die Portionen sind kaum zu bezwingen, so dass wir einen Verdauungsspaziergang über die Weichsel dringend benötigen.
Am nächsten Tag laufen wir die aleja Solidarnosci entlang und finden die scheinbar einzige protestantische Kirche in Warschau, wie uns ein enthusiastisches Gemeindemitglied erzählt. Außerdem stolpern wir in ein kleines Opernhaus, das Warszawska Opera Kameralna und beschließen spontan, uns am Abend Imeneo von Händel anzuschauen. Weiter geht es zum Kulturpalast. Kaum zu übersehen, steht das monströse Prunkstück in der Innenstadt zwischen modernen Hotels und Bankgebäuden. Ein Relikt des gescheiterten Kommunismus im neuen kapitalistischen Warschau.
Passend dazu finden wir ein Café auf der Nowogrodzka, das Radio Café. Es ist ein Club ehemaliger Mitglieder des Radios „Free Europe“. Ein Sender, der 1952 von den Amerikanern gegründet wurde, um eine Alternative zur staatlichen Propaganda zu bieten. Diesen Sender zu hören, wurde mit bis zu 10 Jahren Haft bestraft. Das Wetter ist ungemütlich, also bleiben wir recht lange im Radio Café sitzen und versüßen uns die Geschichtsstunde mit Kuchen. Die Oper am Abend ist sehr schön und belustigend. Wir sind mit Abstand die jüngsten Gäste und während ich noch ein Kleid in den Tiefen meines Rucksacks gefunden habe, ist Sarah in ihrer ungemein kleidsamen Wanderhose erschienen. Das Stück von Händel wird auf Italienisch gesungen, zum leichteren Verständnis werden polnische Untertitel eingeblendet. Aber die Handlung der musikalischen Seifenoper ist nicht schwer zu erraten, so dass wir gut unterhalten wieder ins Hostel zurückkehren.
Mit Hilfe unserer Rezeptionistin buchen wir eine Ferienwohnung auf dem Pferdehof Dwór Trzesniów. Weder Sarah noch ich sind reitbegeistert, doch der Hof liegt mitten in den Waldkarpaten und ist bereit uns kurzfristig aufzunehmen. Eine weitere stundenlange und etwas verwirrende Busfahrt bringt uns nach Brzozow, wo wir von Hubert und seiner Mutter Martha abgeholt werden. Wir schlafen in einer kleinen Wohnung im großen, wunderschönen Haupthaus. Im Garten wachsen Sonnenblumen und Himbeeren. Der Pferdestall ist gleich nebenan, aber wir spielen lieber mit den Haustieren. Hubert, der zusammen mit seinen Eltern den Hof betreut, hat jahrelang in England gearbeitet, die Kommunikation ist also kein Problem. Beim Lagerfeuer erzählt er von England und warum er nach Polen zurückkehren wollte. Für die meisten Polen, die wir auf unserer Reise treffen, ist das Arbeiten im Ausland ein notwendiges Übel. Wer die Wahl hat, bleibt hier. Und bei der Aussicht auf die bewaldeten Berge der Karpaten, ist es nicht schwer zu verstehen weshalb.
Am nächsten Tag verstecken wir uns erst vor dem Brautpaar, das im Garten Hochzeitsbilder schießt und fahren dann mit dem Fahrrad zu einer der ältesten Kirchen Polens und anschließend in den Wald. Nach der Hektik der Großstadt können wir hier die Stille und Einsamkeit des Waldes in vollen Zügen genießen. Sarah hält ein kleines Nickerchen auf dem Waldboden. Ich renne in gebückter Haltung jedem Getier hinterher, in der vergeblichen Hoffnung eine gute Nahaufnahme machen zu können. Gescheitert sammle ich Sarah ein und wir kochen uns an einem Picknickplatz den wohlverdienten Espresso. Der Wald quillt fast über vor Pilzen, leider handelt es sich zum Großteil um Fliegenpilze. Verhungern müssen wir glücklicherweise nicht. Am Abend bringt uns Martha, mit der wir uns leider nur gebrochen auf Polnisch unterhalten können, frischen Hüttenkäse und selbstgemachte Kirschmarmelade. In Kombination genossen ein absoluter Traum!
Die Tage in den Waldkarpaten vergehen wie im Flug. Schon stehen wir wieder an der Bushaltestelle in Brzozow und unterhalten uns mit Händen und Füßen mit Martha, die uns netterweise gefahren hat. Ich weiß nicht genau was wir von uns gegeben haben, doch eh wir uns versehen läuft sie los und kommt mit einem Paket lokaler Leckereien wie Würsten und Gebäck zurück. Allein schon wegen dieser liebenswürdigen Frau ist ein Ausflug zum Dwor Trzesniow die Reise wert! Und das Schlemmerpaket kommt uns auf der nachfolgenden Bergtour durch die hohe Tatra sehr gelegen.
To be continued…
Den ersten Teil der Reihe „Polen – das Traumland nebenan“ findet ihr hier.
Sehr interessant! Freue mich schon auf den nächsten Teil!
In Polen war ich noch nie, vielleicht sollte ich das mal nachholen.
Ich hätte nie gedacht, dass es da so schön ist!! Tolle Eindrücke :)
Liebste Grüße ♥ Joana
TheBlondeLion
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