Polen III – Hohe Tatra
Die dreiwöchige Polenreise geht in die vorletzte Etappe. Vor uns liegt der für mich spannendste Abschnitt, die hohe Tatra. Nachdem Sarah und ich mit dem Bus von den Waldkarpaten bis Krakau gefahren sind, steigen wir dort mit einem brandneuen Sonnenblumenkopf in den Zug nach Zakopane. Das ist die billigste, aber auch längste Option. Wir brauchen über vier Stunden für eine Strecke von ca. 110 Kilometern und wechseln dabei mehrmals die Richtung, was für mittelschwere Verwirrung sorgt. In der kleinen Stadt Zakopane ist um diese Zeit nicht viel los, die Sommersaison ist vorbei und bis zur Skisaison sind es noch Monate. Dann ist es hier am Fuße der polnischen Tatra vorbei mit der Ruhe. Jedes Jahr kommen tausende Skitouristen aus Polen und den umgebenden Ländern hierher. Das Gebirge ist klein aber fein, auf polnischer Seite steigen die Berge bis auf 2499 Meter (Rysy) und diese haben eindeutig alpinen Charakter. Die polnisch-slowakische Grenze verläuft durch die Tatra und die Überquerung ist dank des gut ausgeschilderten Wegnetzes kein Problem.
Wir besorgen uns vor dem Aufstieg zur Hütte eine Karte von eben jenem Wandernetz. Als unser einziges Navigationsmittel wird diese ausführlich zum Einsatz kommen. Dann wird aufgeschultert und wir machen uns auf den Weg zum Hotel Gorski, einer ebenfalls dem PTTK zugehörigen Hütte auf 1100 Metern. Kaum angekommen, verschlechtert sich das Wetter und unsere erste Erkundungstour in die umliegenden Berge fällt recht feucht aus. Das tut der Stimmung aber keinen Abbruch, denn die Aussicht ist trotzdem fantastisch und die Luft kristallklar. Bis zum späten Nachmittag sind noch mehrere Menschen rund um die Hütte unterwegs, darunter auch Gruppen gelangweilt dreinschauender Schüler. Doch mit der Dämmerung verschwinden nach und nach alle Besucher und es wird wieder ruhiger.
Gegen Abend lernen wir unsere zwei Zimmernachbarn kennen, die schon eine knackige Tour über den Rysy hinter sich haben. Wir spielen wir ein leicht makabres Kartenspiel und bringen uns gegenseitig die Zahlenfolge 1-10 bei. Nach dem deftig polnischen Abendessen im hauseigenen Restaurant fängt es an zu schneien. Unsere geplante Wanderung auf den Swenica stößt bei den Kollegen auf Skepsis, denn der Schnee häuft sich draußen und der Weg auf den 2301 Meter hohen Berg ist steil. Das Tourenportal Alpintouren.com bezeichnet die Tour als schwer mit einer Dauer von 6 Stunden und über 1500 Höhenmeter Aufstieg von Kuznice ausgehend. Für eine Wanderung bei Schnee im Hochgebirge, für die sogar Pickel empfohlen werden und die absolute Schwindelfreiheit voraussetzt, sind wir eigentlich nicht ausgerüstet. Aber wir bleiben optimistisch und wollen auch die erste Etappe auf den Kasprowy Wierch nicht mit der Seilbahn fahren. Der Ehrgeiz ist geweckt und unsere Zimmernachbarn wünschen uns viel Glück.
Früh morgens brechen wir auf und laufen bei strahlender Sonne durch eine winterliche Traumlandschaft. Die Gipfelschokolade ist im Rucksack verstaut und wartet darauf auf 2301 Metern vertilgt zu werden. Es liegen ca. 15 cm Schnee im Tal, der bereits zu tauen begonnen hat. Es ist also nass und etwas rutschig, mit guten Wanderschuhen jedoch kein Problem. Zunächst müssen wir das angrenzende Tal durchqueren, um auf der anderen Seite eines kleinen Flusses auf den Wanderweg zum Kasprowy Wierch zu kommen. Die ersten Höhenmeter bis zur Mittelstation der Seilbahn führen durch den Wald. Das Licht bricht sich wunderschön in den Baumwipfeln, der Fluss plätschert neben dem Weg und als wir die Mittelstation erreichen, bietet sich bereits ein grandioser Ausblick über das Tal und Zakopane. Für die 900 Höhenmeter auf den Kasprowy Wierch brauchen wir etwas weniger als zwei Stunden. Ich muss immer wieder anhalten und mich staunend um die eigene Achse drehen. Auf der gesamten Strecke begegnen wir nur wenigen Menschen, doch als wir auf dem Gipfel ankommen, befinden wir uns plötzlich in einem Pulk von Touristen. Unmittelbar unter dem Gipfelkreuz kommt die Seilbahn an und ermöglicht jedem einen perfekten Rundumblick über die hohe Tatra. Nachdem wir ungläubig das Photoshooting eines mit der Seilbahn angereisten Brautpaares auf dem Gipfel bestaunt haben, begeben wir uns anschließend in das Gipfelcafé, um uns bei einem überteuerten Tee ein wenig aufzuwärmen. Das moderne Café und die Menschenmassen laden nicht gerade zum gemütlichen Ausspannen ein und wir brechen bald wieder auf.
Von hier aus geht es über den Grat und zwei kleinere Berggipfel zum Fuß des Swenica. Von dort sind es noch 300 scheinbar senkrechte Höhenmeter zum Ziel. Der steinige und steile Weg führt teilweise über Klettersteige, die mit Eisenketten gesichert sind. Ohne Handschuhe eine eisige Angelegenheit und nichts für schwache Nerven, denn ein Sturz wird für mehrere hundert Meter nicht abgebremst. An einem dieser Klettersteige müssen wir pausieren, da eine Frau während des Überquerens Panik bekommen hat, nun weder vor noch zurück kann und sich an der Kette festklammerte. Ihr Begleiter muss minutenlang beruhigend auf sie einreden, bis sie sich schließlich zum Weitergehen bewegen lässt. Ich muss mich ebenfalls stark konzentrieren und zwingen, nicht ans Stürzen zu denken. Ich laufe voraus und versuche den trittsichersten Weg zu finden und Sarah auf gefährliche Stellen hinzuweisen. Trotzdem kann ich unterwegs die Aussicht genießen. Unter uns treiben die Wolken langsam den Berg hinauf und wir schaffen es gerade noch auf den Gipfel, bevor der Nebel uns einhüllt. Ich erkenne den Czarny Staw und kann in die Slowakei schauen. Sobald wir auf dem Gipfel stehen wird es neblig und uns recht schnell kalt. Die Siegesschokolade ist im gefrorenen Zustand gar nicht so leicht zu essen, schmeckt aber trotzdem unvergesslich gut.
Der Abstieg ist wegen des nassen Schnees nicht ungefährlich, aber sobald wir wieder an der Abzweigung am Fuß des Swenica ankommen, wird der Weg flacher. Der Weg ins Tal zieht sich in die Länge und ich merke, wie die Kräfte langsam nachlassen. Als wir am Abend fix und fertig im Hostel ankommen, haben wir insgesamt über 25 Kilometer zurückgelegt. Der Spaziergang nach Zakopane am nächsten Tag ist größte Anstrengung für die Beine. Als Entschädigung gibt es Schokoladenpfannkuchen und Kaffee in einem kleinen, traditionell eingerichteten Café in der Stadt. Es gibt einige schöne Häuser zu sehen, außerdem wird an jeder Ecke der berühmte Oscypek verkauft, ein geräucherter Schafskäse aus der Region. Zakopane wird von der umgebenden Natur jedoch eindeutig ausgestochen. Die 6 Kilometer zum Hostel führen an einem Bach entlang, rechts und links vom grob gepflasterten Weg reihen sich die Berge auf. Nach dem Ort Kuznice beginnt schon der Tatra Nationalpark, der für Studenten ein paar Zloty Eintritt kostet. Für die Pflege und den Erhalt des Waldes zahle ich gern einen kleinen Betrag. An unserem letzten Tag quälen wir uns auf dem Weg zum Bahnhof mit voll beladenen Rucksäcken noch auf den ein oder anderen Berg und genießen die Luft und den Ausblick. Am späten Nachmittag steigen wir müde und glücklich in den Zug, der uns auf gemütlichen Hartplastiksitzen in 3,5 Stunden nach Krakau bringt. To be continued…
Ein toller Bericht, der Lust auf mehr macht.
Klingt ja doch nach einer anspruchsvollen Tour bei den vorherrschenden Bedingungen!
Die Hohe Tatra haben wir auch auf unserer Liste, aber noch nichts konkret geplant.
Viele Grüße
Alex
Vielen Dank! Ich denke ohne Schnee ist die Tour relativ gediegen und eine gute Ausrüstung macht den Rest. Uns ist auf dem Weg ein Alpinjogger entgegengekommen, immer ein Zeichen, dass es zumindest für die Einheimischen noch steiler und gefährlicher geht :) Eine Tour von Hütte zu Hütte würde mich in der hohen Tatra sehr interessieren, vielleicht kommt ihr mir ja zuvor;)
Liebe Grüße
Tatry! Tolle Bilder!
PTTK <3
Ich muss zugeben, dass ich wohl seit sicherlich zwanzig Jahren nicht mehr in der Hohen Tatra war – um Morskie Oko herum.
Wie war der Eindruck von Zakopane? Ich kenne es als leer, viel authentisch Holz und Markt mit massig Oscypek Verkäufern, höre aber von allen Besuchern mittlerweile nur "man muss halt" als höchste Begeisterung.
Einen Markt gab es nicht soweit ich mit erinnern kann, nur eine Einkaufsstraße mit den Oscypek-Verkäufern. Traditionelle Holzhäuser in Bergregionen finde ich immer charmant, aber Zakopane leidet eben auch an dem boomenden Tourismus…viele Neubauten, Hotels etc. Wenn ich die Möglichkeit habe, ziehe ich eine Berghütte immer einem Hotel in der Stadt vor. Und in der Hauptsaison muss es wirklich extrem voll sein.
Zum Morskie Oko haben wir es leider nicht geschafft, kannst du dich an eine empfehlenswerte Route erinnern? :)
Viele Grüße
Nein, müsste nachfragen :) Eltern sind Bergführer für die Bieszczady und übernehmen bei mir so ziemlich jede Planung, was Wandertouren anbelangt. Habe da leider ein „ich komme überall mit, habe aber keine Ahnung, wo ich bin“ Mindset entwickelt.
Einfach umwerfend. Der Bericht bereitet mir große Freude und macht absolut Lust aufs Koffer Packen und Verreisen!
Danke dir! Ich hoffe, die Lust überwältigt dich irgendwann, es ist wirklich atemberaubend schön!