Gestatten: der Wegerich – Globetrotter vom Wegesrand
Pfatsch! Tretend, fahrend, hüpfend, trampelnd machen wir ihn platt. JoggerInnen, Kinderwägen, Räder, Hunde, Spazierende. So ein Waldweg ist ziemlich zäh, denke ich, während ich anerkennend das sich rasend schnell erholende Grün beobachte. Duracellhasenähnlich gelingt es ihm, all den Tritten standzuhalten, stellt sich nach Sekunden des platten Seins blitzschnell auf und glänzt in bester Frische, als ob da nichts gewesen wäre.
Unverwüstlich zeigen sich besonders die Wegeriche gegen den Widerstand von wüsten Sohlen, Pfoten und Gummireifen. Kein Wunder, dass sie den König („Rich“) selbst im Namen tragen. Dazu vermehrt sich die Kraut-Dynastie in Windeseile und kann in bis zu 2400 m Höhe gefunden werden. Ursprünglich in Europa beheimatet, haben sich Breit- und Spitzwegerich zu wahren Globetrottern herausgeputzt. Da sich ihre, bei Nässe klebrig werdenden Samen, blitzschnell an Sohlen, Pfoten und Rädern festsetzen, verbreiteten sich die Kräuter so schnell, dass sie mittlerweile fast weltweit an Wegesrändern, Fußballfeldern und Wiesen vorzufinden sind.
Pflück Dir ein Pflaster!
Ziemlich stark, diese Typen, die nicht nur stoische Superkraft für sich gebucht haben, sondern gleichzeitig ein grandioses Erste-Hilfe-Pflaster der Natur anbieten. Bei einer Wanderung von müden Füßen oder aufkeimenden Blasen geplagt? Kein Problem für den Breitwegerich! Zur Vorsorge im ganzen Blatt und als zweite Sohle in Schuh oder Socke gelegt, wirkt er wahre Wunder. Als Brei zerdrückt und an schmerzende Stellen gestrichen, helfen Breit- und Spitzwegerich dank ihres entzündungshemmenden und reizlindernden Aucubingehaltes außerdem gegen kleine Wehwehchen und Insektenstiche. Beim Stolpern und Gestochenwerden zu stark geschrien oder viel zu oft das tolle Echo der Berge getestet? – Kein Problem! Ein paar frische Blätter des Spitzwegerichs zerkaut oder auf der Hütte im Teewasser zerkleinert, und die Heiserkeit ist im Nu weggehext. Hexengleich galt das Kraut schon im Mittelalter und wurde, zusammen mit Salbei und Raute, von den Ärzten als „Allesheiler“ betitelt.
Erkennung & Vorkommen
Zu erkennen sind beide Wegerichgewächse durch ihre in einer grundständigen Rosette angeordneten Blätter mit gut sicht- und ertastbaren Längsrippen, auch Blattnerven genannt. Wie der Name schon verrät, wachsen die lanzettenartigen Blätter des Spitzwegerichs lang und spitz gen Himmel, die des Breitwegerichs bleiben breit, fast eiförmig in der Blattform eng am Boden liegend und sind daher etwas zäher als die seines schlanken Bruders, dessen kurze, kolbenähnliche Ähre am fünffurchigen Stengel mit gelblich-weißen Staubbeuteln emporragt. Diese erinnern, passend zur Superkraft des Krautes, an einen feinen Heiligenschein.
Der Breitwegerich überlebt durch seine Bodendichte eher Fußsohlen und Gummiräder und reift somit nicht nur auf Wiesen, Wegesrändern und Fußballfeldern, sondern auch zwischen Pflastersteinen und schlecht gepflegten Bordsteinritzen. Der runde, blattlose Stiel ist kaum länger als seine ledrigen Blätter, die walzenartige Blütenähre wirkt lang und schmal. Alle vier gelbgrünen Blütenstände bekommen im Laufe des Sommers blasslila Staubblätter, die sich später gelbbraun verfärben. Im Herbst fallen dann die kleinen Nüsschen aus der braunen Ähre, die getrocknet und geröstet als knusprig feines Müslitopping dienen. Natürlich sollten die Samen ganz klar und selbstverständlich an eher unbelebten Stellen gesammelt werden, denn die Exkremente von Hunden, Katzen und Kraftfahrzeugen mag wohl keiner auf dem Teller.
Der Breitwegerich – Regionales Superfood
Der Breitwegerich ist nicht nur König gegen müde Füße. Vor Jahrhunderten wurde er in der Volksmedizin zur Blutstillung nach Tierbissen verwendet. Seine entzündungshemmende und antibakterielle Wirkung wird auch innerlich angewandt. So schmecken die jungen und frischen Blätter als Vitamin- und Mineralstoffquelle super in Salat und Smoothie. 100 g des Wegerichs enthalten ungefähr soviel Vitamin A wie eine große Möhre und sind reich an Kalzium, Zink, Vitamin B und C. Nach Entfernung der zähen Rippen auf der Rückseite können auch die älteren Blätter für z.B. Eintöpfe oder Spinate verwendet werden.
Besonders jetzt, im September und Oktober, werden vor allem die reifen Samen gesammelt. Luftgetrocknet, ausgesiebt und angeröstet auf den Frühstücksbrei gestreut bringen sie Power für den Tag. In kaltem Wasser aufgequollen und ins Müsli gemixt machen die regionalen Körnchen dem Flohsamen nicht nur ökologisch Konkurrenz. Genau wie ihr asiatisches Familienmitglied, sind sie ein großartiges Ballaststoffwunder, gelten als besonders gut für Magen und Darm, helfen bei Verdauungsproblemen und binden Giftstoffe. Wer den Samen zum Mehl mahlen möchte, kann sich auch darin versuchen. Als Einsteigertipp gibt man ihn einfach als Gewürz in die Brotbackmischung.
Ganz besonders hilft das krautige Stehaufmännlein bei akuter Entscheidungsunlust. Zupft man sich ein gut gewähltes Blatt am Stiel vom Wegesrand und zählt die nun herausragenden Fäden in Ja-Nein-Ja-Nein-Ja-Manier ab, so zeigt das Pflanzenorakel die Antwort auf eine vorher gestellte Frage.
Der Spitzwegerich – ein Antihustenheld
Auch wenn beide Wegeriche ähnlich angewandt werden, wird dem Spitzwegerich eine noch stärkere Heilkraft als dessen breiten Bruder zugeschrieben. Neben Reizlinderung und Entzündungshemmung bringen ein paar täglich frisch zerkaute Blätter neue Lebensenergie. Auch als Tee oder Sirup eignen sie sich perfekt. Beim ersten Kratzen im Hals legen sie eine Art Schutzschicht auf die gereizte Schleimhaut. Die Arzneipflanze des Jahres 2014 erfrischt das Immunsystem, festigt das Lungengewebe, wirkt antibakteriell und krampflösend auf die Atemwege.
Dank seines Vitaminreichtums füllte das Kraut in der Weltwirtschaftskrise den leeren Kochtopf als Notzeitnahrung und Ersatz für so manches Grünzeug. Doch nicht nur die Blätter, vor allem die jungen, sind – klein und quer zum Nerv geschnitten – ein köstlicher Zusatz im Salat. Die nach Champignons schmeckenden Blüten geben jeder Speise einen würzigen Pep, die frischen Knospen ersetzen ein schnelles Energiekick-Picknick auf der Frühlingswiese. Zudem können sie in ihrer Mineralstoffpracht gedünstet oder in Öl eingelegt werden. Auch beim Spitzwegerich sind die Samen roh und getrocknet essbar.
Hard Facts Breitwegerich (Plantago major)
Er hört auf: Wegtritt, Wegbreit, Rippenblatt, Saurüssel, Ackerkraut
Erinnert äußerlich an: eine eiförmige Fußsohle (Blätter)
Erinnert geschmacklich an: Champignons
Erkennbar durch: breite eiförmige Blätter mit 5-9 gut ertastbaren Längsrippen und glattem Blattrand
Erspäht auf: Wiesen & Wegesrändern, Kopfsteinpflastern & Fußballfeldern, bis auf 2400 m Höhe
Er ist: eng am am Boden liegend, zäh, ausdauernd und unempfindlich
Er wird: 10-40 cm hoch, mit einer bis zu 80 cm reich verzweigten Wurzel
Er wirkt: blutstillend, wundheilend, kühlend, entzündungshemmend, abschwellend, antibakteriell
Er enthält: Schleimstoffe, Flavonoide, Aucubin, Kieselsäure, Kalzium, Vitamin A+b+C, Zink
Erntezeit der Blätter: März – Oktober (am besten vor der Blüte, ansonsten die jungen Blätter aus der Rosettenmitte)
Erntezeit der Blüten: Mai – Juli
Erntezeit der Samen: August – Oktober
Erntezeit der Wurzel: Oktober – April
Einsatz innerlich: Smoothies, Salatzusätze, Spinatvarianten und Sauerkrautersatz, Müslitoppings
Einsatz äußerlich: Blasenpflaster, Blutstiller, Ersthelfer bei kleinen Wunden, Stichen, Bissen
Hard Facts Spitzwegerich (Plantago lanceolata)
Er hört auf: Lungenblattl, Schlangenzunge, Heilwegerich, Spießkraut
Erinnert äußerlich an: eine spitze Zunge oder Lanze (Blätter), einen Spieß mit Heiligenschein (Blütenstand)
Erinnert geschmacklich an: Champignons
Erkennbar durch: Lanzettenblätter mit 5-9 gut ertastbaren Längsrippen und glattem Blattrand
Erspäht auf: wilden Wiesen, Wegesrändern, Fußballfeldern, bis auf 2400 m Höhe
Er ist: zum Himmel schauend, ausdauernd und unempfindlich
Er wird: 10-50 cm hoch, mit einer fein verästelten Wurzel bis 60 cm
Er wirkt: schleimlösend, immunsystemstärkend, entzündungshemmend, antibakteriell, reizlindernd, beruhigend
Er enthält: Schleimstoffe, Saponine, Flavonoide, Aucubin, Kieselsäure, Zink, Kalium, Vitamin B+C
Erntezeit der Blätter: April – Oktober (am besten vor der Blüte, ansonsten die jungen Blätter aus der Rosettenmitte)
Erntezeit der Blüten: Mai – Juli
Erntezeit der Samen: August – Oktober
Erntezeit der Wurzel: Oktober – April
Einsatz innerlich: Smoothies, Salatzusätze, Spinatvarianten, Tee, Müslitoppings, Kräuteröle, Hustensirup
Einsatz äußerlich: Entzündungen des Mund- und Rachenraumes, Ersthelfer bei kleinen Wunden und Stichen
Erst vor kurzem habe ich meinen Enkelkindern vom Wegerich erzählt, als sich das Mädchen einen Insektenstich eingefangen hatte. Leider war keiner in greifbarer Nähe. Aber ein paar Tage bei einem Spaziergang haben wir welchen gefunden. Ich kenne die Pflanze seit meiner Kindheit!