Es ist eben auch unsexy, immer nur rational zu sein!
Rationalität vs. Emotionalität. Für mich bedeutet Rationalität der Logik oder Vernunft zu folgen – den Weg einzuschlagen, der nach gründlicher Abwägung mit größtmöglicher Wahrscheinlichkeit zum angestrebten Ziel führt. Emotional zu agieren, heißt für mich hingegen auf das Bauchgefühl, das Herz bzw. die Intuition zu hören. Rational agieren oder emotional handeln? In einigen Lebenslagen stellt sich die Frage erst gar nicht, ob man der Vernunft folgen oder auf sein Bauchgefühl hören sollte. Im beruflichen Alltag beispielsweise. Im Privatleben hingegen haben wir meist die freie Wahl.
Ich gehöre definitiv zu den vorrangig emotional agierenden Menschen. Dabei bin ich mir durchaus darüber bewusst, dass mein Handeln nicht immer zu den gewünschten Ergebnissen führt oder ich aufgrund meiner Entscheidung manchmal als ziemlicher Trottel dastehe. Unabhängig davon geht es mir besser, wenn ich meinem Bauchgefühl folge. Ich fühle mich mehr bei mir, weil ich getan habe was ich wollte bzw. was mir als „das Richtige“ erschien. Selbst, wenn ein anderer – rationaler – Weg vielleicht mehr Aussichten auf Erfolg hat oder mir zumindest weniger Kummer bereitet.
Natürlich spreche ich gerade auch von diesem Mann-Frau-Ding. Nein, ich meine jetzt nicht, dass Männer die Rationalen sind, während Frauen immer emotional agieren. Das wäre ziemlich flach und ich habe mehr als genug Beispiele, die eine solche Plattitüde widerlegen. Vor geraumer Zeit war ich bei meiner Freundin C. zu Besuch. L. war auch da. Ich kenne ihn nur entfernt. Wir tranken Rotwein und er erzählte von seiner Beziehung, die kürzlich in die Brüche ging. Bevor der endgültige Cut erfolgte, gab es eine filmreife On-Off-Storry mit mehr als nur zwei Akteuren. Als L. davon berichtete, war er selbst überrascht, was er eigentlich alles toleriert hat. Und dennoch würde er seine Ex-Freundin just in diesem Moment wieder haben wollen, obwohl er weiß, dass sie ihm nicht gut tut. Emotionalität siegt.
Ich sage ihm, dass ich ihn verstehen kann. C. stimmt ein. Wir tauschen uns über diverse, wenig erfreuliche Situationen aus, die uns die fehlende Ratio schon beschert hat. Dennoch sind wir uns einig nichts zu bereuen. Man würde sich ja immer wieder fragen müssen, ob nicht doch alles gut gegangen wäre, wenn man nur auf sein Herz gehört hätte. Das Standardbeispiel kennen wir alle. Man lernt jemanden kennen. Man unterhält sich den halben Abend oder die ganze Nacht oder nimmt das Gegenüber einfach gleich mit nach Hause. Man tauscht Telefonnummern oder zumindest den Facebook-Kontakt aus. Und dann kommt einfach nichts. Soll ich mich jetzt melden? Oder man ist schon mitten im Austausch, hat sich vielleicht schon ein paar mal getroffen und es kommt einfach nicht die gewünschte Tiefe ins Geschehen. Soll ich jetzt den ersten Schritt machen und Klartext reden?
Derlei Situationen gibt es in millionenfacher Abwandlung. Und eigentlich stehen immer die gleichen Fragen im Raum. Was ist wenn das Gegenüber nicht so reagiert, wie ich es mir wünsche? Und selbst wenn ich den Inhalt oberflächlich halte, impliziert meine Nachricht nicht immer auch mehr Interesse als ich dem- oder derjenigen gegenüber zugeben will? Soll ich mir diese Blöße wirklich geben?
Warum nicht? Warum nicht einfach dem Bauchgefühl folgen? Warum sich in seinem Handeln limitieren? Wenn man nicht kommuniziert was man will, wird man es auch nicht bekommen! Und selbst wenn die erwünschte Reaktion nicht erfolgt, so kann ein mutiger Schritt wenigstens zu Klarheit führen. Das ist mir persönlich immer lieber, als das ewige Grübeln was wohl wäre wenn. C. und L. sehen es ganz genauso. L. bringt es schließlich auf den Punkt: „Es ist eben auch unsexy, immer nur rational zu sein!“ Wir lachen und trinken noch mehr Rotwein. Am Ende des Abends freuen wir uns dennoch, dass der emotionale und der rationale Weg manchmal flächendeckend sind.
Und ihr so? Emotional oder rational?
Ich wünsche euch allen tolle und entspannte Weihnachtsfeiertage! :)
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Hm. Sehr interessantes Thema und gute Frage! Mein Handeln ist definitiv immer von meinen Gefühlen geprägt, auch wenn es nach außen hin dann oft als rational empfunden wird. Versteht man das? Anders gesagt: Ich kann meine emotionalen Ausbrüche einfach sehr gut als rationale (manchmal „kaltherzige“) Entscheidungen maskieren. Danke übrigens für einen der wenigen Posts in diesen Tagen, in dem es nicht um Weihnachten geht…und trotzdem besinnliche Feiertage:-)!
Ja, ich verstehe was du meinst. Manchmal „gelingt“ mir das auch. Eigentlich eine Art Selbstschutz… vielleicht das falsche Wort. Aber durch dieses Handeln maskiert man ja seine emotionale Entscheidung, die einen eventuell bloß stellen könnte. Jetzt hoffe ich, dass du verstehst was ich meine. ;D
Ich bin stärker kontrolliert in meinen Handlungen, obwohl ich doch schon als recht temperamentvoll gelte. Wenn mir jemand nicht gut tut, dann halte ich mich von ihm fern. Wenn jemand mein Vertrauen missbraucht hat, was es das. On-Off, schlechte Partner- oder Freundschaft oder ein langes Hin und Her gibt es bei mir nicht. Vorbei ist vorbei. Emotionalität spielt keine Rolle mehr, sobald ich mich für oder gegen eine Sache entschieden habe. :)
Ich würde nicht klar zwischen Vernunft und Emotionalität unterscheiden, weil man meines Erachtens nicht immer zwischen Kopfsache und Bauchgefühl trennen kann. Emotionen können aus der Vernunft heraus entstehen und eine kopflastige Entscheidung kann emotionale Gründe haben. LG!
Emotionen sind subjektiv. Sie erfinden sich selbst durch Begegnungen/Situationen/Atmosphäre/Stimmungen/Reflexion durch sich und Andere. Daraus braut sich dann eine individuelle Gefühlssuppe (für das Verständnis der Metapher soll es eine Buchstabensuppe sein) zusammen. Die Rationalität hilft uns die chaotisch umherschwimmenden Buchstaben zu ordnen und in einen Kontext zu bringen. Für mich funktioniert das Eine ohne das Andere gar nicht. Sehr stark emotionale Menschen sind oft sehr unglücklich und übersensibel, sehr stark rationale Menschen sind oft sehr kalt und berechnend. Die Natur zeigt uns in vielen Bereichen, dass das Gleichgewicht der Kräfte das harmonischste Zusammenspiel ever ist. Die Frage ist nicht, was besser ist.. sondern wie wir alle Zen werden
Hallo Jess,
Sehr interessante Gedanken, die du da äußerst. Wer ist da nicht mal hin und hergerissen.
Ich bin zwar schon sehr emotional, aber natürlich muss man seine Entscheidungen auch gelegentlich hinterfragen.
Es ist mir nicht mehr wichtig, es allen recht zu machen. Manchmal muss man auch Entscheidungen treffen, die für die eigene seelische Gesundheit besser sind.
Ich habe gerade einen Schlussstrich unter eine langjährige Freundschaft gezogen, die mir einfach nicht mehr gut tat. In allen schwierigen Situationen war ich für diese Freundin da, aber dann haben wir uns in verschiedene Richtungen entwickelt, es gab keine Gemeinsamkeiten, keine Gesprächsthemen mehr. Die Anrufe bei ihr habe ich zunehmend als Pflicht empfunden.
Die ewig gleichen Probleme mit ihrem Ex-Freund konnte much mir nach acht Jahren einfach nicht mehr anhören.
Auch wenn es im Hinblick auf die schönen Augenblicke weh tut, fühle ich mich jetzt befreit.
Glg & ein frohes Fest
Jennifer
Ich bin selbst eine Mischung aus klarer Rationalität und sehr intuitiver Emotionalität. Ich habe oft die Erfahrung gemacht, dass ich Dinge spüre, die ich nicht wissen kann und dass meine Emotionen ein guter Ratgeber für Entscheidungen sind. – Andererseits kenne ich aber auch genau das Gegenteil, weiß, dass ich auch vor vielen Dingen Angst habe oder zu vorsichtig bin und weiß dann manchmal nicht mehr zu trennen: ist das jetzt ein Gefühl (Emotion) oder eine Befürchtung (Kognition)… und dann fällt mir die Wahl schwer. Aber ich kenn das auch gut. Gerade bei Beziehungsentscheidungen erlebe ich oft, dass ich später denke „Das wusstest Du bereits nach 3 Wochen Partnerschaft… wieso hab ich damals nur nicht direkt gehandelt?!“
Gefühl ist ja auch tatsächlich abgekürzte Abwägung, Heranziehen von Erfahrungen und Intuitionen. Es ist ein Entscheidungsprozess, der absolut ernst zu nehmend ist, auch wenn der Kopf zu langsam ist, um die verschiedenen vermeintlich emotionalen Argumente zu „hören“. – Es gibt Untersuchungen, dass erfolgreiche Menschen meist NUR auf Ihr Gefühl hören.
Ich brauche jedenfalls noch ein wenig Nachhilfe, in diesen Momenten konsequent zu sein. Jemandem klar zu sagen „aus uns wird nichts“, wenn es sich abzeichnet und die Irritation über viele Momente in Kauf zu nehmen, wo man als Begründung für Entscheidungen nur sagen kann „Fühlte sich so richtig an“.
Der Text ist der Knüller! Spricht mir gerade genau aus der Seele!
Ein wunderbare Post. Mal wieder trifft es genau meine Ansicht.
In bestimmten Bereichen des Lebens ist es klüger rational zu denken, aber gerade in zwischenmenschlichen Beziehungen höre ich (leider erst) seit Kurzem auch fast nur noch auf mein Bauchgefühl. Auch wenn das nicht immer die erfolgversprechendste Variante ist, so ist sie doch komplett ICH. Denn man selbst weiß, wenn man mal kurz in sich hineinhört, was für Einen am besten ist. Und so mache ich – im privaten Bereich – einfach die Dinge nicht mehr, die sich nicht richtig anfühlen – und das wiederum fühlt sich großartig an. :)
Ganz liebe Grüße, einen guten Rutsch und ein fabelhaftes neues Jahr!
[…] Es ist eben auch unsexy immer nur rational zu sein! – ein wunderbarer Text von Jess über den Zwiespalt zwischen Rationalität und Emotionalität. […]