Doch, das ist halb voll!
Wenn mich meine Freunde beschreiben müssten, dann würden die meisten vermutlich sagen, dass ich ein offener und begeisterungsfähiger Mensch bin. Viele wissen von mir, dass ich harmonieliebend und diplomatisch bin. Einige würden behaupten, dass Spontanität mich auszeichnet. Andere würden das abstreiten. Ich weiß zudem, dass ich zu einer gewissen Naivität neige bzw. manchmal einfach etwas kritischer sein sollte. Vermutlich würden mich aber all meine Freunde und Bekannte als optimistisch charakterisieren. Und ja – ich bin optimistisch. Gnadenlos optimistisch sogar! Und ich bin alles, was damit noch einher geht. Quasi so ein Mensch Marke Sonnenschein, der das Leben liebt, zuversichtlich ist meist eine positive Erwartungshaltung hat. Mein Glas ist immer halb voll und das Beste steht sowieso noch bevor – egal wie rosig und erfüllend die Vergangenheit bereits war bzw. die Gegenwart ist. Wäre ich ein Meme, dann die lächelnde Variante von Grumpy Cat. Natürlich würde YES! statt NO. am unteren Bildrand stehen.
Mein Optimismus ist mir bei vielen Dingen in meinem Leben hilfreich. Angst vor Prüfungen oder generell davor zu versagen, ist kein Gefühl, welches mich bisher besonders häufig ereilt hätte. Nicht, weil ich keinen Respekt hätte oder mich für unschlagbar halte. Natürlich besteht auch bei mir jederzeit die Gefahr des Scheiterns. Aber der Glaube daran, dass ich Dinge schaffen kann, die ich mir vornehme, scheint einfach so tief in meiner DNA verankert zu sein, dass er stetig präsent ist bzw. allen Zweifel überwiegt. Und wenn ich dann doch scheitere, ist das für einen Optimisten wie mich auch kein Problem, denn alles ist ja bekanntlich für etwas gut. Aus einer Niederlage kann man sehr viel lernen, es das nächste Mal besser machen. Und überhaupt birgt ja jedes Problem, jeder Fehlschlag, jeder misslungene Versuch auch Chancen in sich, die nie da gewesen wären, wenn alles bereits beim ersten Versuch entsprechend den eigenen Vorstellungen funktioniert hätte. Gleiches gilt für meine Gefühlswelt. Ich gehöre eben zu den happy happy Menschen, lächle viel und schlechte Laune… schlechte Laune? Seltenst! Sogar den wenigen melancholischen Tagen in meinem Leben, kann ich sehr viel abgewinnen. Zum Beispiel eine neue Sichtweise auf die Dinge, die mir in meinem Sonnenscheinland sonst verborgen bleibt.
Und wer jetzt denkt, dass etwas mehr Realismus oder sogar gesunder Pessimismus in meiner Welt nicht schaden können, dem muss ich leider Recht geben. Das weiß ich natürlich. Ich höre das aber nicht so gern. Ist doch auch klar. Warum sollte ich etwas in meinem Denken ändern, wenn doch immer alles gut für mich läuft?! Richtig bei mir eingeschlagen, hat dieser Hinweis eigentlich erst im vergangenen Jahr. Ich stand im Badezimmer, um mich für die bevorstehende Partynacht aufzuhübschen. Aus dem Wohnzimmer dröhnte laut Musik. H. kam mit zwei Wassergläsern voller Sekt, reichte mir eins und lehnte sich an den Türrahmen. Wir unterhielten uns, während ich meine Haar toupierte. Wir hatten beide eine anstrengende Phase hinter uns. Beziehung, Beruf und Gesundheit – jeder hatte in den Monaten zuvor zehrenden Erfahrungen gemacht. Allerdings lag dies nun weitestgehend hinter uns. Mit einem Verweis auf den unglaublichen Optimismus, der uns ja beiden inne ist und der uns jede Hürde überwinden lässt, wollte ich das Gesprächsthema vorerst abschließen. Ich rechnete fest mit der Zustimmung meines Gegenübers. Stattdessen entgegnete mir H., dass er inzwischen gelernt hat, dass dieser überschwängliche Optimismus nicht immer gut sei. Diese Aussage aus seinem Mund überraschte mich ein wenig. H. und ich hatten zu diesem Zeitpunkt erst seit Kurzem wieder Kontakt, nachdem wir uns an die acht Jahre nicht gesehen hatte. Er war mir als ebenso verkappter Optimist wie ich selbst in Erinnerung. Genau deshalb war ich so erstaunt. Gleichzeitig hatte seine Aussage eben aufgrund dieser Gemeinsamkeit, eine große Relevanz für mich. Ich konnte und wollte H. nicht widersprechen. Ich wusste, dass er Recht hat.
Wir haben das Thema schließlich noch anhand diverser Beispiele aus unserem Leben durchgesprochen. Gerade im zwischenmenschlichen Bereich macht es in schwierigen Phasen wenig Sinn sich nur darauf zu verlassen, dass schon alles gut wird. Selbstverständlich sind weder H. noch ich derart blauäugig, dass wir uns blind auf diese Annahme verlassen würden. Aber die Leichtigkeit des Optimismus kann schon mal dazu führen, zu viel Vertrauen in einen positiven Ausgang zu haben. Und wenn dieser dann nicht eintritt? Klar, dann trösten wir uns damit, dass es jetzt neue Chancen gibt. Aber das ist doch kein erstrebenswerter Zustand. Vor allem dann nicht, wenn die Alternative darin besteht mit etwas mehr Realismus oder sogar mal einer pessimistischen Betrachtungsweise, Stolpersteine frühzeitig zu erkennen und mit einer entsprechenden Verhaltensanpassung zu einem positiven Ausgang beizutragen. Natürlich ist das keine neue Erkenntnis, aber erst seit eben jenem Abend mit H., hat sich diese bei mir als solche wirklich manifestiert. Sie findet nun regelmäßiger Eingang in meine Gedankengänge und somit in mein Handeln. Erschwerend hinzu kommt nämlich, dass ich harmoniebedürftig, irgendwie altruistisch und manchmal sogar konfliktscheu bin. Gepaart mit meinem Optimismus, kann das schon mal dazu führen, dass ich Probleme gar nicht erst als solche wahrnehme oder einfach nicht in dem Maße kommuniziere, wie es nötig wäre. Aber ich arbeite daran mich in dieser Hinsicht weiterzuentwickeln. Ich diszipliniere mich dazu, häufiger realistisch-pessimistische Szenarien durchzuexerzieren, die sonst nicht meinen Denkmustern entsprechen. Das ist bereichernd. Dennoch, mein Glas ist und bleibt irgendwie immer halb voll.
Und ihr so? Optimist, Pessimist oder Realist?
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Ein wunderbares Gegenplädoyer – finde ich super! Ich für meinen Teil bin mir bewusst, dass mir etwas Optimismus dann und wann auch nicht schaden würde. Mein Freund ist hoffnungsloser Optimist. Das macht mich oft genug wahnsinnig, bewahrt mich aber auch manchmal davor, in allzu tiefe Tiefen abzudriften. Egal ob wir Optimisten oder Pessimisten sind – wir alle brauchen auch einen Gegenpol in unserem Leben. Das macht es ja erst so interessant :)
Hab vielen Dank. Und ich gebe dir Recht. Ich schöpfe auch sehr viel aus den realistischen und pessimistischen Ansichten aus meinem Freundeskreis und das möchte ich auch nicht missen. :)
Oh was für ein toller Text!
Ich bin auch Optimist. Gar nicht mal aus Überzeugung. Einfach, weil ich so bin. Weil ich immer an das Gute im Menschen glaube. Jeder Situation noch etwas positives abgewinnen kann. Und immer daran glaube, dass alles letztendlich gut wird.
Ganz nach Oscar Wilde: “Everything is going to be fine in the end. If it’s not fine it’s not the end.”
LG
Rike
Herrlich! Ich stell mich gleich direkt neben dich – diese Worte treffen nämlich auch perfekt auf mich zu und das Zitat kenne ich natürlich auch. ;D
Eine schöne Eigenschaft, manchmal würde mir ein bisschen etwas davon nicht schaden… :-)
Und mir manchmal ein bisschen weniger… :D
ich gestehe: Optimistin. Du hättest auch mich beschreiben können. ;-) Ein quentchen mehr Realismus würde mir manchmal auch nicht schaden.
Tihihihi….ja….an und für sich liebe ich meinen Optimismus ja auch, aber andere Sichtweisen können eben – wie du sagst – ab und an auch nicht schaden. :)
Sehr schöner, tiefsinniger Artikel! Gerne mehr davon. :) Zur Frage: Hm.. so eine einheitliche Grundeinstellung kann ich bei mir gar nicht feststellen – es gibt Phasen, in denen ich optimistisch bin und Phasen, in denen ich realistisch bis leicht pessimistisch bin. Aber alles in Moderation, so optimistisch, wie du es beschreibst, bin ich in der Regel nicht. Wenn ich darüber nachdenke, erkenne ich bei mir manchmal auch einen Hang zur Realitätsverweigerung.. ungesund, das sollte ich abstellen. ^^
Realitätsverweigerung? Das klingt ziemlich interessant. Meinst du in eher pessimistischen Phasen. Wenn ich genau drüber nachdenke, leide ich dann wohl in zu optimistischen Momenten auch an Realitätsverweigerung. :D
Ich würde mich als realistische und teilweise desillusionierte Optimistin bezeichnen.
Realistisch und teilweise desillusioniert, weil ich einfach schon viel erlebt habe und gesehen habe, wie Menschen sein können. Daher habe ich davon eine tendenziell misanthropische Haltung gegen Menschen entwickelt.
Menschenmassen gehen mir sehr schnell auf den Keks und ich bin schnell angenervt von der Dummheit und Bequemlichkeit (in vielerlei Hinsicht) der Mitmenschen.
Dennoch bin ich im Kern Optimistin, bei mir ist das Glas (fast) immer halb voll und „et hätt schon immer jut jejange“.
Dazu kommt ein gesundes Maß an Konfliktwillen und ein sehr direktes Wesen – keine einfache Mischung. ;-)
chastity64
Finde ich nicht. :D Mit Menschen wie dir komme ich sehr gut klar. Ein Freund meinte mal, dass das mit mir geht, weil ich sehr entspannt bin. Auf jeden Fall bewundere ich es, wenn Menschen direkt sind und auch Konflikte nicht scheuen. Auch in dieser Hinsicht arbeite ich an mir – auch schon länger. Denn wenn man nicht kommuniziert was man will, wird man es auch nicht bekommen.
Menschenmassen strengen mich übrigens auch schnell an – außer auf Party! ;D Aber die Innenstadt meide ich z.B. an Wochenenden und nutze lieber die ruhigen Montag- oder Dienstagvormittage für Besorgungen.
Meine Familie und Freunde würden sofort sagen, dass ich eine ganz fürchterliche Pessimistin bin, denn ich rechne immer mit dem Schlimmsten. Ich nenne es Zweck-Pessimismus und sehe mich eher als Realistin. Ich checke alle Optionen und rechne gern mit dem Worst Case, um mich so vor Enttäuschung zu schützen. Tritt ein besseres Ergebnis ein, kann ich mich darüber freuen. Ich glaube sogar, dass positives Denken krank machen kann – wenn man einfach nicht der Mensch dafür ist. Dennoch heißt das nicht, dass ich das Leben nicht genießen kann; ich kann mich an kleinen Dingen wie einem Schmetterling wie Bolle erfreuen, liebe das Leben und habe so gut wie nie schlechte Laune. Und auch wenn ich das Schlimmste erwarte, weiß ich, dass am Ende immer alles gut wird. Ich glaube, dass ich alles eine Frage der Balance und eigenen Reflektiertheit.
Ohje – ich hoffe das kommt im Beitrag nicht falsch rüber, denn was ich gar nicht zum Ausdruck bringen will ist, dass Pessimisten gleichzeitig unglückliche Menschen sind oder nicht lebensfroh seien. :)
Immer das Worst Case Szenario vor Augen zu haben, ist eigentlich optimal. Das sollte ich mal fürs Zeitmanagement meiner Masterarbeit durchdenken. :D
Sehr schöner Denkansatz. Ich bin auch eher der „das Glas ist halbvoll“ Typ, wahrscheinlich sogar der „ein halbes Glas reicht völlig, ich kann es ja wieder nachfüllen“ Typ. Meine beste Freundin würde mir trotz massig Problemen vollkommen zustimmen und so passiert es immer wieder, dass wir in unseren eigenen Blase sitzen, Sekt trinken und trotz Unzufriedenheit mit dem Job, Männerproblemen Ihrerseits und diverser anderer Probleme alles toll finden bzw. gerade deswegen lachen und den Kopf schüttelnd „in nächsten Monat wird alles besser“ rufen. Ob das gut ist? Wahrscheinlich nur in begrenzeten Maße. ABER: es tut gut!
Mit Menschen die immer mit dem schlimmsten rechnen, mit Pessimisten habe ich wirklich Probleme. Meist artet es darin aus das ich versuche den Leuten Ihr Leben schön zu reden, positive Seiten zu suchen, Lösungsansätze zu liefern die in den Wind geschlagen werden und ich letztendlich schlechte Laune bekomme und Abstand brauche. Pessimismus macht mich auf Dauer krank und regelrecht letarghisch, ich entwickel mich zu einer Person die ich nicht sein will. Pessimisten lasse ich ungern in meine kleine Blase. Wahrscheinlich sollte ich daran arbeiten mich weniger von außen beeinflussen zu lassen. Das Problem liegt ja an einem selbst und nicht an anderen, change yourself and don’t try to change others.
Solche Sektabende kenne ich nur zu gut! :D Und die sind klasse und müssen auch sein.
Dennoch kann ich dein Vorhaben nur gutheißen. Mein Freundeskreis ist gut gemischt und es gibt auch ein paar Menschen, die ich nicht mal unbedingt generell als Pessimisten bezeichnen würde, die aber aufgrund von Depression/Angststörung oder generell Unsicherheiten recht dunkle Phasen haben. Deren Denkweisen und Ideen zu bestimmten Sachverhalten oder auch Problemen sind oft recht komplementär zu meinen. Und ich möchte sie gerade deshalb auf keinen Fall missen.
Zugleich kann ich dich aber auch verstehen. Ich hab mich auch schon von Menschen aus meinem Leben „verabschiedet“, weil sie mich auf Dauer und in der Menge zu sehr herunter gezogen haben bzw. sich nur meldeten, wenn es ihnen schlecht ging, sie Zuspruch benötigten, aber ich im Großen und Ganzen nichts aus den Gesprächen und Treffen „mitnehmen konnte“.
Ich bin eher Realistin, wünsche mir aber oft auch ein wenig in die positive Richtung „träumen“ zu können :)
Realistin – eigentlich perfekt, oder? Man sagt ja auch, dass die Wahrheit häufig in der Mitte liegt. :)
Liebe Jess,
ein wundervoller Artikel.
Ich persönlich beschreibe mich gern als Realistin! Es kann schön werden, aber … Mein Gegenüber würde mich vermutlich als Pessimist beschreiben – doch dem rufe ich mein „Alles wird gut“ entgegen. Ich versuche es also!
So manches Mal hat mich mein „Aber“, vor einer bösen Überraschung gewarnt. Ein bisschen Skepsis gegenüber der Welt schadet, glaube ich, nicht. Zu groß könn(t)en die Enttäuschungen sein.
Doch! lässt man sich einiges entgehen, wenn zuvor das ABER zu groß ist. So wünsche ich mir manchmal, dass mein Kopf einfach ruhig ist und Entscheidungen oder Ereignisse einfach hinnimmt – ganz positiv, ohne Hintergedanken. Sich auf neue Wege einlässt.
Am Ende wird schließlich immer alles gut. Oder nicht?
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