Der Schnack No. 4 | Fünf Fragen über Sex
Drei Monate Social Distancing liegen hinter uns. Der Verkauf von Sex-Spielzeug ist während der Corona-Maßnahmen rasant angestiegen. Gefühlt hatten Paare viel Sex. Dann gar keinen mehr. Folgt auf die Krise ein Baby-Boom? Wie lange schafft es ein Mensch ohne Berührung auszukommen? Was macht die Generation Tinder, wenn die Devise „nur gucken – nicht anfassen“ lautet?
Viele spannende Fragen, für die einmal nicht die Virolog*innen die Experten der Stunde sind.
So habe ich die Hamburger Sexual- und Paarberaterin Corinna Beseler um ein Gespräch gebeten. Der exakt-geschnittene graue Pagenkopf lässt mich eine „no-nonsense“ Einstellung erwarten. Ich werde jedoch sofort eines Besseren belehrt. „Sexualität ist so vielfältig wie die Menschen“, erklärt sie mir gleich zu Beginn. „Was ich dir erzählen werde, sind Ansätze – keine fixen Antworten. Es geht hier nicht um richtig oder falsch.“ Während draußen dreimal das Wetter wechselt, reden wir eine Stunde über Sex.
Was ist alles Sex?
Sexualität ist alles. Es kann ein Blickkontakt, Körperlichkeit, Bedürfnisbefriedigung sein. Es ist Selbstbefriedigung oder Geschlechtsverkehr. Sexualität ist ein riesiges Feld. Am Ende ist es eigentlich nur Ausdruck einer Kommunikation.
Wie kann ich eine gute Sexualität auch ohne Partner entwickeln?
Auch die Zeit ohne einen Partner ist wahnsinnig wertvoll!
Als erstes kannst du deine sexuelle Entwicklung voranbringen. Belese dich zu deinem eigenen Geschlecht, dann informiere dich über dein Gegengeschlecht. Gerne arbeite ich mit meinen Klienten an ihrer Art, sich zu erregen: Wir erweitern und intensivieren die Selbstbefriedigung – und entwickeln neue Masturbationstechniken. Dabei geht es darum, den Solo-Sex qualitativ zu verbessern. Wie fühlen sich verschiedene Berührungen an? Was passiert, wenn ich mit Erregungsquellen wie Pornografie oder Sex-Spielzeug arbeite? Du kannst in der Zeit alleine eine Experimentierfreude entwickeln, die eine neue Beziehung bereichern kann. Dabei steht immer im Vordergrund: Wie gefällt mir das? Nicht jeder ist für alles gemacht.
Als nächstes geht es um die körperliche Entwicklung. Zur sexuellen Gesundheit gehört meines Erachtens auch eine entsprechende Körperpflege: Bewegung in Form von Sport und gesunde Ernährung. Achte darauf, wie du mit dir selbst umgehst. Du darfst diese Zeit also nutzen, um deinen Selbstwert zu steigern. Das zahlt sich immer aus und lässt dich später selbstbewusst für deine Bedürfnisse einstehen.
Und schließlich darfst du deinen emotionalen Müll raustragen. Jeder hat durch eine Beziehung, in der Sexualität ja auch eine Rolle gespielt hat, Erfahrungen gesammelt. Mir geht es in der Arbeit mit meinen Klienten darum, Negativität abzubauen. Dabei hilft es, sich die letzten Beziehungen anzugucken und eine kleine Inventur zu machen: Welche Qualitäten hatte ich als Liebhaber? Wie war unsere Sexualität? Was waren unsere schönsten Stunden? Wo habe ich mich nicht genügend eingebracht? Was waren meine schlechtesten Stunden? Was habe ich dazu beigetragen?
Die Zeit alleine ist herrlich, denn sie ist wie eine Forschungsreise.
Was sind deiner Meinung nach wichtige Fragen/Themen, die ich mit einem Sexualpartner besprechen sollte?
Bevor du mit jemandem in Sexualkontakt gehst, stehen meines Erachtens drei Fragen an:
- Wann hast du dich zuletzt auf Geschlechtskrankheiten testen lassen und wie waren die Ergebnisse?
Heutzutage bestehen viele medizinischen Möglichkeiten – von der Verhütung und Familienplanung bis hin zu der Behandlung von Krankheiten, die es Menschen ermöglichen unbeschwert sexuelle Beziehungen aufzunehmen. Zusätzlich bewegen wir uns in einem technischen und sozialen Rahmen, in dem sexuelle Kontakte leicht zu finden sind und wir in unserem Handeln so frei und uneingeschränkt wie nie zuvor agieren können. Geschlechtskrankheiten nehmen zu – aber dessen sind sich viele Menschen nicht bewusst. Diese Frage sollte unbedingt geklärt werden bevor Menschen in den Kontakt gehen. Safe Sex steht über allem.
- Wie verhüten wir?
- Was verstehst du unter Sex und was gefällt dir?
Die Leute gehen unbedarft in die Sexualität hinein, weil es ja oft so unangenehm ist, im Vorfeld zu sagen: Hallo, was hättest du denn gerne? Da Sexualität eine Kommunikation ist, wird der Sex am Anfang wahrscheinlich auch gar nicht mal so dolle sein – aber mit der Zeit passen sich Menschen aneinander an – verschmelzen miteinander.
Was ist guter Sex?
In meinen Augen ist das achtsamer Sex. Da geht es gar nicht um Stellungen und Länge. Im Schnitt haben Paare drei Stellungen und der Geschlechtsverkehr dauert circa drei bis acht Minuten. Alle glauben, dass die anderen so viel Sex haben – dadurch entsteht Unsicherheit und Druck. Aber bei dem Thema Sexualität wird viel gelogen.
Der Schwerpunkt sollte in der Sexualität bei sich selbst sein. Die Leute glauben, sie machen das für den anderen. Das ist Quatsch. Wenn du für dich sorgst – dann kommst du zum Höhepunkt und dein Partner erfreut sich daran, dass er dir diesen tollen Moment geschenkt hat.
Was dich erregt und was du brauchst ist für jeden Menschen individuell und einzigartig. Deswegen sollte dies kommuniziert werden.
Die Millenials haben so wenig Sex wie keine Generation vor ihnen. Wie ist das zu erklären?
In einer Beziehung musst du oftmals verhandeln und verführen. In der jetzigen Generation ist das in den Hintergrund getreten. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Verführungsfähigkeit verschwindend gering ist. Wann wurdest du das letzte Mal angesprochen? Wann hast du jemanden angesprochen? Wie viel wird im Alltag geflirtet?
Heute hast du eine wahnsinnige Verfügbarkeit an Pornografie und Dating Portalen. Damit sind viele Bedürfnisse schon abgedeckt. Da ist viel Potential – alles zugänglich, alles gratis. Hinzu kommt ein geringer Bindungswillen. Wer Interesse daran hat, kann schnell in sexuellen Kontakt gehen. Das ist aber oftmals reine Körperlichkeit. Wo bist du als Mensch? Die Leute wollen so gerne gesehen werden, angenommen, gefühlt, gehalten werden. Das suchen sie sich über die Sexualität – alles soll Ausdruck über diesen einen Kanal finden.
Vielen Dank an Corinna Beseler, die einem das Gefühl vermittelt, über Sex zu sprechen wäre das leichteste der Welt. Und dass ein Sommer im Zeichen der Reisewarnungen nebensächlich ist – wenn aufregende Forschungsreisen auch zu Hause möglich sind.
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Danke für die interessante Bestandsaufnahme.
Liebe Grüße
Nancy :)